Wenn‘s „gut“ werden muss.

 

Bei Agenturverträgen steht zu Beginn meist nur eins leidlich fest: der Betrag unten rechts. Über den konkreten Leistungsinhalt lässt sich schlecht eine Vereinbarung treffen, weil er ja erst (gemeinsam) entwickelt werden soll. Die meisten Streitigkeiten beruhen auf dieser Unsicherheit. Unerwartete Hilfe kommt jetzt von zwei Oberlandesgerichten, die Wege aufzeigen, wie man Verträge agil lebt und dadurch Probleme vermeidet oder nachträglich löst – und zwar sowohl als Auftraggeber als auch als Agentur.

Dem Künstler schlägt keine Stunde – wer kreativ arbeitet, braucht in vielerlei Hinsicht Freiraum. Dieser Freiraum wird im Agenturbereich begrenzt durch das Budget des Auftraggebers, inhaltliche Vorgaben, aber eben auch seinen Geschmack. Gute Agenturen wissen dabei: Glück ist Erwartungsmanagement. Es haben sich daher Abläufe etabliert, mit denen die Leistungsanforderungen stückweise konkretisiert werden und sich dabei im Idealfall immer weiter an die innere Erwartungshaltung des Auftraggebers annähern.

Oft genug geht das schief. Gerade bei kleineren Budgets oder inhabergeführten Kunden zerren Agentur und Auftraggeber unbewusst in unterschiedliche Richtungen oder reden schlicht aneinander vorbei. Zwei solcher Fälle hatten das das Kammergericht Berlin und das Oberlandesgericht Köln zu entscheiden, und sie haben dabei eine Methodik entwickelt, die als Anleitung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit auch in schwierigen Fällen dienen kann.

 

Stufen

 

Den Beginn macht dabei das jüngere Urteil: das Kammergericht hatte über einen Vergütungsanspruch zu entscheiden, der auf eine Teilleistung aus einem größeren Auftrag entfiel, nämlich die Produktion eines Imagefilms (KG, Urt. v. 19.03.2019, 21 U 80/18). Nach Übergabe einer Shotliste und zwei Drehtagen in Begleitung des Geschäftsführers des Kunden wurde das Video zusammengeschnitten. Die Reaktion des Kunden fiel untereuphorisch aus. Er bemängelte unter anderem, dass zu wenige Aufnahmen aus dem Innenraum von Yachten zu sehen seien – und verweigerte die Bezahlung.

Ist das ein berechtigter Einwand? Dem Grunde nach ja, sagt das Kammergericht. Aber er kam zu spät. Minutiös beschreibt das Gericht das zentrale Problem: am Anfang eines Agenturvertrags steht oft eine nur vage Vorstellung des Auftraggebers, und das liegt in der Natur der Sache. Wenn dieses Problem daher im Vertrag selbst angelegt ist, muss er so ausgelegt werden, dass er den Interessen beider Parteien Rechnung trägt. Das heißt, dass die Vorstellungen des Auftraggebers Gewicht haben, aber auch die Agentur irgendwann einen Punkt erreichen muss, ab dem sie auf klaren Grundlagen (weiter) arbeiten kann.

 

Die Lösung: der Auftraggeber hat das Recht, aber auch die Pflicht, den Leistungsinhalt zu bestimmen. Das bedeutet, dass er von der Agentur insbesondere bei grundlegenden Designentscheidungen, aber auch bei der späteren gestalterischen Arbeit immer wieder eingebunden werden muss. Das klingt erstmal nach einer ziemlich einseitigen Freiheit des Kunden – ist es aber nicht. Der Auftraggeber ist durch derartige Zwischenentscheidungen nämlich seinerseits gebunden.

In dem entschiedenen Fall war das Shooting des Rohmaterials für zwei Tage terminiert. Damit sei klar gewesen, dass schon aus Kostengründen – die Aufnahmen für einen luxemburgischen Kunden fanden auf Mallorca statt – die „Materialsammlung“ in dieser Zeit abgeschlossen sein musste. Folge: der Kunde konnte sich nicht darauf berufen, es hätten Einstellungen gefehlt.

Eine Abnahme der Gesamtleistung soll mit solchen Zwischenfestlegungen allerdings natürlich nicht verbunden sein. Hätte die Beanstandung sich daher auf den Schnitt oder die Musik bezogen, wäre zu prüfen gewesen, ob der Kunde sich auch insoweit festgelegt hat. Soweit das nicht der Fall war, hätte es einer Aufforderung durch die Agentur bedurft, sich zu äußern – mit der Folge, dass beide Parteien wiederum auf diese Zwischenstufe festgelegt gewesen wären. Da der Kunde im entschiedenen Fall insoweit aber nichts zu mäkeln hatte, ist er jetzt 30.000,00 € ärmer: er hat das Verfahren verloren.

Umsetzung

 

Wie setzt man dieses System der Zwischenstufen um, ohne wahnsinnig (oder wechselseitig unzufrieden) zu werden? Klar ist: eine Agentur macht sich zu Recht unbeliebt, wenn sie sich jeden Pinselstrich abzeichnen lässt. So etwas erweckt den Eindruck, die Kreativleistung solle auf den Auftraggeber abgewälzt werden und schädigt das Klima, weil es erbsenzählerisch wirkt. Auch eine vertragliche Regelung mit definierten Zwischenabnahmen wird nur selten sinnvoll sein. Projekte entwickeln sich dynamisch, und wie formulierte Moltke so lyrisch: „Kein Operationsplan reicht (…) über das erste Zusammentreffen mit der feindlichen Hauptmacht hinaus.“

Was es daher braucht, ist ein Meta-Konzept, um im laufenden Projekt die Knackpunkte zu erkennen, an denen Zwischenstufen eingezogen werden müssen, oder kurz: eine agile Projektplanung. Die Initiative muss dabei von der Agentur ausgehen, ohne dass kommunikativ der Eindruck erweckt wird, der Auftraggeber hätte mit einer Vorfestlegung in einer Teilfrage im Prinzip schon die Endabnahme vorweggenommen und das Geschehen aus der Hand gegeben.

Eine gute Agentur wird daher zweierlei tun: Fragen stellen und Antworten dokumentieren. Als Auftraggeber muss einem dabei klar sein: wenn man hinter die letzte Absprache zurück möchte, weil einem die Fortentwicklung nicht gefällt, geht das meistens - ist dann aber eine Budgetfrage.

 

Ein Beispiel

 

Wer bei der Entwicklung einer Corporate Identity ein Moodboard erstellt, kann und sollte das Ergebnis mit dem Kunden ausdrücklich abstimmen. Es reicht also nicht nur eine wohlwollende Kenntnisnahme – der Kunde muss sich äußern. Wenn darauf basierend eine erste Designsprache entwickelt wird, die die abgestimmte Farbgestaltung aufgreift, und dem Kunden das Ergebnis nicht gefällt, wird er sich an seiner Vorentscheidung hinsichtlich des Moodboards festhalten lassen müssen. Dabei sind beide Parteien gefordert: Auf Agenturseite ist gute Kommunikation ein „Muss“. Das bedeutet, dass dem Kunden klar gesagt wird, dass er eine Entscheidung treffen möge – und dass danach Moodboard C nun die Waffe der Wahl sei und man sich freue, auf dieser Grundlage weitermarschieren zu können. Als Auftraggeber muss man sich spiegelbildlich bewusst sein, dass etwaige Zweifel jetzt geäußert werden müssen. Die oft zu beobachtende, recht bequeme Haltung des stillschweigenden „erstmal sehen“ ist ein Schuss ins eigene Bein, und das muss dem Auftraggeber klar sein. Als Agentur kann man ihm das zweckmäßigerweise erläutern.

Die Zwischenstufen sind damit individuell und informell, aber trotzdem verbindlich. Ein solches Projektmanagement ist damit im besten Sinn agil.

 

Wer bestimmt, was schön ist?

Wie eingangs schon erwähnt, kann und soll der Kunde dem Grafiker trotzdem nicht den Stift führen. Und auch bei guter Abstimmung kommt es vor, dass die Ästhetik den Parteien im Wortsinn einen Strich durch die Rechnung macht – oder besser: die unterschiedliche Wahrnehmung von Ästhetik. Wer dann „Vorfahrt“ hat, kann entscheidende Bedeutung für die Bezahlung und ihre Höhe haben und ist damit für beide Parteien eine essentielle Frage.

Hier meldet sich das Oberlandesgericht Köln zu Wort und betont in einem jüngeren Urteil: wer Kunst in Auftrag gibt, bekommt auch Kunst – ob sie dann gefällt, spielt für die Vergütung erst einmal keine Rolle (OLG Köln, Urt. v. 14.11.2018, 11 U 71/18). Dabei ist „Kunst“ durchaus weit zu verstehen und umfasst insbesondere auch das, was in der Rechtsprechung früher recht abschätzig als „Gebrauchskunst“ bezeichnet wurde, also etwa zweckgebundene Designleistungen im Kundenauftrag. Im entschiedenen Fall hatte der Comedian Jörg Knör einen Film mit Parodien für ein Unternehmensjubiläum gefertigt, der dem Kunden nicht gefiel – was dem aber nichts nützte. Bezahlen musste er trotzdem: Kunstfreiheit, so das OLG Köln.

Allerdings gilt das – natürlich – nicht schrankenlos, und insoweit ergänzt die Entscheidung die Ausführungen des Kammergerichts rund um die stufenweise Entwicklung des Vertrags. Die Kunstfreiheit endet nämlich bei konkreten Vorgaben des Auftraggebers. Die wiederum können sich nicht nur aus einer Vertragsurkunde ergeben, sondern auch aus Briefings während der laufenden Vertragsdurchführung (wer übrigens immer schon mal wissen wollte, was mit „Briefing“ genau gemeint ist: das OLG Köln geht hier schwer ins Detail). Damit lugt die Kunstfreiheit immer dort hinter dem Baum hervor, wo es an konkreten Vorgaben des Kunden fehlt.

Beide Entscheidungen zeigen danach: bei der Durchführung eines Agenturvertrags sollte möglichst kein Vakuum entstehen. Weisungen des Auftraggebers sind dabei auch in Zwischenfragen nicht nur eine unverbindliche Orientierung, sondern binden ihn wie auch die Agentur für die restliche Dauer des Projekts. Aus Agentursicht hält man dabei das Heft des Handelns in der Hand und sollte den Wissens- und Erfahrungsvorsprung nutzen, um auf regelmäßige Segelanweisungen zu drängen. Das wiederum lässt sich institutionalisieren: schon zu Projektbeginn sollte man intern festlegen, bei welchen Zwischenstufen eine Weisung des Kunden eingeholt werden soll – und dabei ausdrücklich und so bezeichnet um ein Briefing bitten. Dabei ist es von großer Wichtigkeit, dass sichergestellt ist, dass die Agentur einer Diskussion nicht aus dem Weg geht: wenn keine Weisung erteilt wird, ist das genau so ein Showstopper wie eine Weisung, die das letzte Ergebnis in Frage stellt, weil kein Vorschlag gefällt.

Es gilt:

  • Richtet sich die Kritik gegen etwas, was in der vorangegangenen Runde vom Kunden entschieden wurde, kann und muss er darauf hingewiesen werden: für einen Rücksprung hinter das letzte Ergebnis muss er (zusätzlich) bezahlen.

  • Richtet die Kritik sich gegen eine Gestaltung aus dem aktuellen Zyklus, sollte im Rahmen des Vereinbarten oder Üblichen (maximal zwei Korrekturschleifen) nachgebessert werden.

  • Verweigert der Kunde eine Festlegung, muss er darauf hingewiesen werden, dass die Agentur das Vakuum dann nach eigenem Gutdünken und im Rahmen der Kunstfreiheit füllen wird – und der Kunde mit diesem Ergebnis dann entweder leben oder eine Neuauflage gesondert bezahlen muss.

     

    Klar: das sind harte Ansagen. Sie liegen aber im Interesse auch und gerade des Auftraggebers, und sie lassen sich durchaus charmant verpacken. Sind die Anforderungen auf diese Weise sortiert, kommt es erst gar nicht zum Streit.

Das Kind ist im Brunnen

Doch auch wenn man sich schon im Stehen unterhält, lässt sich mit den geschilderten Grundsätzen noch einiges retten und eine Beendigung der Geschäftsbeziehung vermeiden. Insoweit sollte in einem ersten Punkt Klarheit über die oben beschriebene Rollenverteilung geschaffen werden. Das bedeutet: Weisungen des Auftraggebers sind keine unverbindliche Meinungsäußerung, sondern binden beide Partner. Das ist auch manchen Kreativen so nicht klar, weshalb es sich bei Problemen auch als Auftraggeber anbietet, die beschriebene Regelungstechnik zu erläutern.

In einem zweiten Schritt sollte dann – idealerweise gemeinsam – geprüft werden, ob die Unzufriedenheit sich auf einen Umstand bezieht, zu dem es eine Weisung des Auftraggebers gab und ob sie befolgt wurde. Dabei geht man zeitlich schrittweise rückwärts: Ausgangspunkt der Betrachtung ist dabei eine möglichst konkrete Rüge, und zwar auch und gerade dann, wenn der ästhetische Eindruck dem Kunden missfällt. Dabei ist zu beschreiben, ob es etwa an der Farb- oder Formensprache, der Gesamtaussage, einzelnen Elementen etc. liegt, dass das Ergebnis durchgefallen ist. Agenturen können mit ihrem Fachwissen bei der Formulierung hervorragend unterstützen und bei dieser Gelegenheit enorm bei ihrem Kunden gewinnen, so dass hier Teamwork sehr sinnvoll ist.

Dann wird der Gestaltungsprozess zeitlich zurück verfolgt und die Kommunikation nachvollzogen: gab es zu Fragen, die die Kritik des Kunden berühren, einen Austausch und, vor allem, eine Weisung?

Gab es keine Weisung, ist zu fragen, ob eine Weisung hätte eingeholt werden müssen. Das wiederum ist im Einzelfall davon abhängig, ob bei Vertragsschluss oder zu einem späteren Zeitpunkt - für einen unbeteiligten Dritten erkennbar! - freie Hand gelassen wurde. In so einem Fall gewinnt die Kunstfreiheit die Oberhand und der Kunde muss sich tendenziell mit dem Ergebnis arrangieren oder eine Neuauflage zusätzlich bezahlen.

Wurde allerdings erkennbar keine Carte Blanche in Bezug auf den konkreten Kritikpunkt erteilt, liegt der Ball im Feld der Agentur: wer einfach losstürmt, darf sich nicht wundern, wenn er zurück auf „Los“ gerufen wird – vertragliche Begrenzungen von Korrekturschleifen natürlich vorbehalten.

Vorfeldüberlegungen

Streit kostet beide Seiten Geld und sollte daher durch überlegte Vertragsgestaltung vermieden werden. Es bietet sich daher an, nicht nur die üblichen Korrekturschleifen in einen Vertrag aufzunehmen, sondern gleich einen rundenbasierten Projektverlauf mit Zwischenweisungen fest zu vereinbaren. Agenturen sind hier gefragt, weil sie den Vertragsentwurf vorlegen. Die Vorteile der Vereinbarung eines agilen Projektmanagements, wie es hier beschrieben wurde, lassen sich dabei knapp und plausibel darstellen. Im Bereich der Softwareentwicklung, bei der mit ähnlichen Problemen gekämpft wird, ist so etwas schon seit Jahren erfolgreich im Einsatz. Spätestens mit der bilderbuchmäßigen Aufbereitung der rechtlichen Hintergründe durch die beiden namhaften Gerichte steht danach fest: so macht man‘s richtig.

Die höchste Stufe auf dem Weg zur Zufriedenheit ist dann übrigens der Abschied vom Festpreis. Auch hier zeichnet die Softwareindustrie den Weg vor: das dort praktizierte System, Projekte in Teilaufgaben herunterzubrechen, in festen Zyklen abzuarbeiten, gemeinsame Zwischenabnahmekriterien zu definieren („definition of done“) und iterativ auf ein nur grob skizziertes Ziel hinzuarbeiten, funktioniert ganz sicher auch im Agenturgeschäft. Der vertragliche und organisatorische Overhead schreckt derzeit noch Agenturen ab - die vermeintliche Unsicherheit beim Preis die meisten Auftraggeber.

Die Agentur, die sich als erste traut, diese Probleme zu durchbrechen und kreative Prozesse in ein agiles Vertrags-Framework zu gießen, wird in der Kundenzufriedenheit bei mindestens vergleichbaren Einnahmen durch die Decke schießen. Ein Grund auch für Auftraggeber, sich mit agilen Methoden wie etwa Scrum (näheres hier) auch im Marketing auseinanderzusetzen.